Die Mozaraber. Kulturelle Identität zwischen Orient und Okzident

In interdisziplinärer Zusammenarbeit der Mittelalterlichen Geschichte, der Islamwissenschaften und arabischen Philologie sowie der Mittellateinischen Philologie nimmt das Projekt „Die Mozaraber. Kulturelle Identität zwischen Orient und Okzident“ die kulturell-religiöse Gemeinschaft die als Mozaraber bezeichneten Christen auf der mittelalterlichen Iberischen Halbinsel in den Blick. Das Projekt ist Teil des DFG-Schwerpunktprogramms 1173 „Integration und Desintegration der Kulturen im europäischen Mittelalter“.

In der bisherigen Forschung werden Mozaraber vornehmlich über ihren Minderheitenstatus im muslimisch dominierten al-Andalus und somit von Außen mittels ihrer religiösen, sozialen, rechtlichen, etc. Diskriminierung durch die muslimische Gesellschaft definiert. Demgegenüber betrachtet das Erlanger Forschungsvorhaben die mozarabischen Gemeinschaften und ihr kulturelles Profil als eigenständige kulturelle Identitätsbildung: Die mozarabischen Gemeinschaften der Iberischen Halbinsel wahrten auch über ihre (Wieder-)Eingliederung in christliche Gesellschaftsstrukturen in Folge von Migration oder Reconquista hinaus spezifische kulturelle Eigenarten, die sie sowohl im islamischen wie im lateinisch-christlichen Umfeld zu einer distinkten Einheit machten. In drei eng vernetzten Detailstudien zu theologisch-geistesgeschichtlichen, literarisch-historiographischen und prosopographisch-institutionengeschichtlichen Aspekten des Mozarabismus in islamisch wie christlich geprägten Umgebungen auf der Iberischen Halbinsel fragt das Gesamtprojekt nach kulturellen Eigenheiten, die eine mozarabische Identität in den Augen ihrer Träger wie auch in der Fremdwahrnehmung durch Außenstehende konstituierten. Durch die Kombination dreier Perspektiven – der muslimischen und der lateinisch-christlichen Außensicht auf die Mozaraber sowie deren eigener Selbstwahrnehmung – werden Kriterien einer kulturwissenschaftlichen Definition des Phänomens erarbeitet, die – anders als rechts- und sozialgeschichtliche Zugriffe über den extern vorgegebenen Minderheitenstatus – in der Lage sind, die Persistenz des Mozarabismus auch im christlichen Umfeld zu erfassen.

Das Teilprojekt der mediävistischen Geschichtswissenschaft untersucht unter Leitung von Prof. Dr. Klaus Herbers und Dr. Matthias Maser den Mozarabismus nach seiner Integration in christliche Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen. Zentrale Fragestellung ist dabei, wie lange eine mozarabische Sonderidentität für Gruppenmitglieder und für Außenstehende wahrnehmbar blieb. Damit fragt das Teilprojekt zugleich nach den in Selbst- und Fremdwahrnehmung als konstitutiv angesehenen Merkmalen mozarabischer Kultur. Drei Themenfelder aus verschiedenen Zeiträumen werden dazu als Fallstudien vergleichend in den Blick genommen:

  1. Seit der Mitte des 8. Jahrhunderts emigrierten andalusische Christen aus dem muslimischen Herrschaftsgebiet. Die Forschung hat diese bislang vornehmlich als Träger westgotischer Traditionen angesprochen, dabei aber bereits erfolgte neue „mozarabische“ Prägungen kaum in Erwägung gezogen. Gerade diese ersten Ansätze einer eigenständigen mozarabischen Kultur und Religiosität und ihren Transfer in das Karolingerreich, vor allem aber nach Asturien im Norden der Iberischen Halbinsel, gilt es deshalb zu untersuchen. Ideen- und theologiegeschichtliche Erkenntnisse verspricht dabei eine systematische Sichtung der im Zusammenhang mit dem Adoptianismusstreit entstandenen Schriften, die die Perspektive auf eine deutlich von muslimisch-arabischen Traditionen gespeiste Orientierung der Mozaraber eröffnen. Da die Forschung die Gründung zahlreicher nordspanischer Klöster mozarabischen Mönchen zuschreibt, kommt aber auch der Frage nach spezifischen monastischen Idealen Bedeutung zu, die – nicht zuletzt auch durch die Verehrung der Cordobenser Märtyrer – aus al-Andalus in den Norden Spaniens transferiert wurden.
  2. Ein zweiter Schwerpunkt des Teilprojekts dient er Untersuchung literarisch-historiographischer Ausdrucksformen einer mozarabischen Identität außerhalb von al-Andalus und ihrer Ausstrahlung. Bereits in den Überlieferungen aus der Zeit König Alfons‘ II. ist nicht allein eine Rückbesinnung auf das gotische Erbe feststellbar. Vielmehr deuten Inschriften und literarische Werke darauf hin, dass die literarische Kultur Asturiens im 8. Jahrhundert durch die Integration weiterer Einflüsse ein sehr eigenständiges Profil gewonnen hatte. Dieser Befund ist auf breiterer Basis zu erhärten ist und zu prosopographischen Untersuchungen in Beziehung zu setzen. Neben der Untersuchung des Austauschs von Handschriften zwischen Klöstern in Süd- und Nordspanien sind darüber hinaus nordspanische Chroniken seit dem 9. Jahrhundert systematisch auf historiographische „Mozarabismen“ bei Stoff- und Motivwahl sowie bei der Darstellungsform zu überprüfen.
  3. In engster Zusammenarbeit mit dem islamkundlichen Teilprojekt ist das Beispiel der mozarabischen Gemeinde von Toledo zu untersuchen. Unter vornehmlich personen- und institutionengeschichtlichem Zugriff ist dabei nach strukturellen Voraussetzungen für die Persistenz mozarabischer Identität im christlichen Umfeld und die Gründe für ihr Ende im frühen 14. Jahrhunderts zu fragen. Das Netzwerk der mozarabischen Führungsschicht der Stadt ist an verschiedenen Personen exemplarisch zu studieren. Für entsprechende Untersuchungen stellen das umfängliche Corpus mozarabischer Urkunden sowie die durch Regesten teilweise erschlossenen Bestände des Toledaner Kathedralarchivs reichhaltiges Material zur Verfügung. Wir erwarten Antworten darauf, wie lange nach der Reintegration der arabisch-christlichen Gemeinde in die kastilischen Herrschaftsstrukturen in Folge der Reconquista Toledos 1085 eine mozarabische Sondergruppe innerhalb der Stadtgesellschaft auszumachen war und in welchen Kontexten eine solche kulturelle Identität Relevanz behielt. Ein wichtiges Kriterium könnte hier die arabische Sprache gewesen sein, deren Verbreitung bis zum Ende des 13. Jahrhunderts durch mozarabische Urkunden belegt ist. War aber ein „mozarabisches Bewusstsein“ fest an das – gesprochene oder geschriebene – Arabische gebunden? War es damit der Siegeszug des Kastilischen im Zusammenhang mit den von Alfons X. (1252-1284) geförderten Übersetzungen, der den Mozarabismus in Toledo Anfang des 14. Jahrhunderts verschwinden ließ?

Projektleitung: Prof. Dr. Klaus Herbers, Dr. Matthias Maser

Mitarbeiter: Dr. Christofer Zwanzig, Christian Saßenscheidt, M.A.

Projektlaufzeit: 2008-2011

Ausgewählte Publikationen aus dem Projekt

  • Matthias Maser/Klaus Herbers (Hrsg.), Die Mozaraber. Definitionen und Perspektiven der Forschung, (Geschichte und Kultur der Iberischen Welt, Bd. 7), LIT, Berlin/Münster 2011.
  • Matthias Maser/Klaus Herbers/Michele C. Ferrari/Hartmut Bobzin (Hrsg.), Von Mozarabern zu Mozarabismen. Zur Vielfalt kultureller Ordnungen auf der mittelalterlichen Iberischen Halbinsel (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft N.F., 41), Münster: Aschendorff-Verlag, 2014, ISBN-10: 3402148676.